Die erste bayerische Biergartenrevolution

Der Biergarten, vor ein paar Jahrhunderten irgendwie aus der Not geboren, entpuppte sich als Erfindung aller Zeiten und mauserte sich zur Stätte der bayerischen Seele. Und so lebten sie fortan in Frieden für alle Zeiten.


Bis zum Jahre 1995. Dann klagten Anwohner ihre Ruhe ein.

Der Begriff des „Anwohners“ drohte die längst zum Kulturgut gewordene Bierseligkeit zu zerstören.

Erster Schauplatz im Drama war die „Waldwirtschaft“,

von den Münchnern liebevoll „WaWi“ genannt. Fünf der besagten Anwohner klagten damals wegen der Lärmbelästigung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und – der Klage wurde stattgegeben. Die WaWi müsse um 21.30 Uhr schließen, hieß es.

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Dem folgte ein Aufschrei des Entsetzens 

– und im Mai die „Erste Biergarten-Revolution“

auf dem Münchner Marienplatz – dem zweiten Schauplatz des Geschehens. Zwanzigtausend Demonstranten waren gekommen – wahrscheinlich waren welche darunter, die sonst nie demonstrieren würden – aber hier ging es um Leben und leben lassen!

sl-marienpl95-Marienplatz  Und sie waren nicht umsonst gekommen – die bayerische Staatsregierung zeigte Verständnis für den Unmut der Bevölkerung und erließ am 22. Juni die umstrittene „Biergarten-Verordnung“. Diese besagte, dass bis 22.30 Uhr Speisen und Getränke ausgegeben werden dürften, um 23.00 Uhr müsse Ruhe herrschen.

„Normenkontrollklage abgewiesen!“ Im Biergartenstreit aber kehrte noch lange keine Ruhe ein – im Gegenteil, es wurde immer juristischer: Die Anwohner der Waldwirtschaft, die sich nach wie vor durch den Lärm belästigt fühlten, strengten eine Normenkontrollklage an, wollten die Frage grundsätzlich geklärt wissen.

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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, ein zweites Mal bemüht, erklärte die Verordnung in erster Instanz für zulässig, doch die Anwohner gaben nicht auf und legten Revision ein.

Revision vor dem Bundesgerichtshof

Und damit wanderte die Biergartenfrage munter weiter zum Bundesgerichtshof – mitsamt Umweltminister Werner Schnappauf, der an die Spree reiste, um mal was klarzustellen:

dass die Biergärten „eine seit Generationen weitergetragene Institution, eine Stätte der Begegnung und Erholung – und nie ein Platz alkoholisierter, krakeelender Krawallmacher“ gewesen seien.

Allein, es half nur wenig: Die Biergartenverordnung sei ein weißblauer Alleingang und schlicht gestrickt, musste man sich von der preußischen Justitia entgegenhalten lassen.

Die „neue Biergartenverordnung“ Und so ging der Streit weiter bis ins Jahr 1999, als ein Kompromiss gefunden wurde und sich die Gemüter langsam wieder abkühlten auf die Temperatur von kellerkaltem Märzenbier.

„Bayern weiß am besten, welche Regelungen angebracht sind, um bayerischer Tradition und Kultur gerecht zu werden“, hieß es dann, und es kam zur „Neuen Biergartenverordnung“, die den Lärmschutz berücksichtigte und klarstellte, was ein Biergarten eigentlich ist.

Nämlich eine „traditionelle Einrichtung, eine im Freien gelegene Schank- und Speisewirtschaft, die in erheblichem Umfang mit Bäumen bepflanzt ist und wo der Verzehr mitgebrachter Speisen möglich ist“.

Nach dieser Neuen Biergartenverordnung gilt für diese Traditionsgärten nun in Wohngebieten:

Um 22.00 Uhr muss die „Musi“ gehen, eine halbe Stunde später gibt es noch eine letzte Maß, um 23.00 Uhr ist endgültig Schluss mit Lustig. Dabei unterliegen diese Bieroasen auch streng gestaffelten Lärmgrenzen. Für die Biergärten im Grünen gelten nach wie vor die längeren Öffnungszeiten, sofern sie schon vor der Verordnung Bestand hatten. Endlich Ruhe im Streit um die letzte Maß.

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